Im Kostüm von Klosterschülern, Gassenbuben und Backfischen
Rund 50 Mädchen und Jungen der Domchöre wirken bei "La Bohéme" im Staatenhaus mit
„Bravi! – Das habt Ihr gut gemacht. Wenn Ihr Blickkontakt zu mir haltet, dann kann überhaupt nichts schief gehen.“ Das große Lob von Dirigent Francesco Angelico entschädigt die jungen Sängerinnen und Sänger für einen langen Probenabend. Und dabei ist in der Oper erst Halbzeit, als der Maestro die Kinder verabschiedet und sie dazu ermutigt, auch im Ernstfall – er meint die Premiere am kommenden Sonntag - mit voller Konzentration bei der Sache zu sein.
Nun aber ist nach dem zweiten Akt, in dem die 24 Mädchen und Jungen drei Auftritte haben, für die 11- bis 14Jährigen erst einmal Schluss. Mit einer Wiederholung der Schlussszene, bei der die Kinder auf den Punkt „Parpignol, Parpignol“ rufen und im Getümmel der vielen Protagonisten, aber auch Statisten und erwachsenen Chorkollegen ihren Einsatz nicht verpassen dürfen, ist auch diese immer wieder in den letzten Tagen gründlich geprobte Passage für Regie und Orchesterleitung stimmig. Nun noch einmal in der Reihe Aufstellung nehmen, die synchrone Verbeugung üben und dann die typisch französischen Winterkostüme mit Schal, Mützen, Kniestrümpfen, halblangen Hosen und Internatsuniformen auf den Garderobenhaken hängen – bis zum nächsten Mal.
Eine geradezu akribische Detailarbeit von Regisseur Michael Hampe, der mit seiner 20jährigen Intendanz für eine erfolgreiche Ära an der Oper Köln steht und mit seiner Regiearbeit zu „La Bohéme“ nach längerer Zeit wieder an die Stätte seines früheren Wirkens zurückkommt, prägt diese überaus bunte und mit prallem Leben gefüllte Straßenszene zu Weihnachten im berühmten Pariser Künstlerviertel „Quartier Latin“. Vor dem Café „Momus“, wo die Tische auf dem Gehsteig überfüllt sind, die Erwachsenen in eleganten Roben mit ihren Kindern an den Händen flanieren und fliegende Händler mit Handkarren ihre Waren – Orangen und Maronen, kleine Sperlinge und Kokusmilch – feilbieten, spielen auch Straßenkinder. Sie tollen zwischen den Erwachsenen herum, verfolgen amüsiert die Aufführung eines Kasperletheaters oder lassen sich von den vielen reizvollen Spielzeugen, die ebenfalls zum Verkauf stehen und eine verführerische Anziehungskraft auf die Kleinen ausüben, in den Bann ziehen. Inmitten der Gassenbuben, Klosterschüler und Backfische konzentriert sich zwischendurch aber dennoch das Spiel auf die vier zwar mittellosen, aber dennoch unbeschwerten Künstler Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard sowie ihr gemütliches Beisammensein mit Nachbarin Mimì. Mit ihr vertreiben sie sich die Vier die Zeit und genießen es, in der engen „Ruelle“ mit ihren unzähligen Verlockungen, die sich die wenig erfolgreichen Bohémiens angesichts der geringen Einkünfte ihres Berufsstandes kaum leisten können, in Gesellschaft zu sein. Schließlich vermischen sie sich mit dieser dicht gedrängten Menge fröhlich feiernder Bürger, mit denen sie nur scheinbar die Unbeschwertheit eines sorglosen Lebens teilen.
„Es ist schon sehr inspirierend, wie viel Mühe der Regisseur für jedes noch so kleine Detail aufwendet, wie durchdacht sein Konzept ist, so dass erst aus der Summe aller dieser Puzzlesteine dieses prächtige wunderschöne Gesamtbild entsteht“, kommentiert Chorleiter Oliver Sperling die vielen mit den Kindern sorgsam einstudierten Posen, Bewegungen und Gesten. „Aber gerade das macht ja die Qualität und Überzeugungskraft einer guten Regie aus.“ Hampe habe die einzelnen Gruppen des Kinderchores, die an sehr unterschiedlichen Stellen der Bühne als Gassenbuben stehen, in ihren Schuluniformen streng dreinschauenden Ordensfrauen folgen oder als sogenannte „Backfische“ – so bezeichnet das Libretto die älteren unter den Mädchen – an Tischen sitzen, dazu animiert, sehr lebendig zu agieren, und jedes Mal auch nachvollziehbar begründet, warum was genau so und nicht anders von den Kindern umgesetzt werden soll. Wer auf wen reagieren müsse, damit die Handlung auch plausibel wird und Sinn macht. Dass die Kinder den Zapfenstreich der Wachparade nachstellen – auch das eine Idee des Regisseurs – und sich Theodor aus dem Kölner Domchor als kleiner Solosänger dem Drängen seiner Opern-Eltern widersetzt und doch unbedingt das hölzerne Spielzeugpferd ergattern will, gehört dabei ebenso zu den wirklich entzückenden Feinheiten einer sonst nach klassischem Verständnis authentischen Inszenierung dieser „Bohéme“. Hier geht es nicht nur um puren Hörgenuss, auch optisch kommt das Publikum auf seine Kosten, zumal es genau alles das en detail zu entdecken gilt, was Hampe mit viel Liebe zum (Schau)spiel in den vielen kleinen Nischen und Winkeln des Trottoirs anlegt.
Diesmal sind es über 50 Kinder der Domchöre, die bei der beliebten Puccini-Oper aus dem Künstler-Milieu im Staatenhaus, der Interimsspielstätte der Kölner Oper, mitwirken. Das bedeutet, dass sie in je zwei Besetzungen bis einschließlich Anfang des Jahres insgesamt 13 Aufführungen zu stemmen haben. „Die Koordination ihres Gesangsauftritts mit den von Hampe vorgegebenen Abläufen erfordert diesmal ein ganz besonders hohes Maß an Konzentration“, erklärt Sperling. Das gelinge nur mit großer Disziplin und viel Motivation. Mit Übe-CDs und Noten konnten sich alle Mitwirkenden von Anfang Oktober an auf ihren Part selbständig vorbereiten. Die ersten Proben mit den Chorleitern Eberhard Metternich und Oliver Sperling fanden aber schon schnell parallel dazu statt. Später gab es dann die ersten szenischen Proben mit Regisseur Hampe und Regieassistenz Eike Ecker im Theaterstudio der Mülheimer Schanzenstraße und erst die Hauptproben mit Orchester in dem viel diskutierten ausgedienten Deutzer Messebau.
„Bei dieser Produktion sind unsere Sänger noch einmal ganz besonders gefordert“, betont Sperling. Nicht nur das Staatenhaus, auch die Regiearbeit mit Hampe stellten eine große Herausforderung dar, seien zugleich aber auch die Chance zu einer Erfahrung, an der die jungen Sängerinnen und Sänger beider Chöre nur reifen könnten. „Die bewährte Zusammenarbeit mit der Oper macht allen immer große Freude. Gerade darum wollen die Kinder es auch besonders gut machen und zeigen, dass sie sich gerne fordern lassen.“ Die Mitwirkung bei Opernprojekten, wie beispielsweise „Tosca“, „Hänsel und Gretel“ oder „Otello“ in den letzten zwei Jahren, trage wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen der Chormitglieder bei. „Hier sind sie noch einmal ganz anders – nämlich nicht nur auf den stimmlichen Einsatz beschränkt – gefordert“, so Sperling. „Die Qualitätsmaxime lautet: die jeweils eigene Rolle zu beherrschen, aber auch alles andere drumherum - eben den Gesamtablauf - im Blick zu behalten und dabei ‚mehrgleisig’ zu fahren.“ Das bedeute – gerade für die Jüngsten – allerhöchste Konzentration auf alle erfolgten Regiehinweise und eine verinnerlichte Mitverantwortung an der Gesamtaktion. Und das in einem rasend schnellen Tempo.
Die - bereits ausverkaufte - Premiere von „La Bohéme“ findet am 22. November um 18 Uhr statt. Weitere Termine: 27. November, 5., 8., 10., 13., 17., 25., 27. und 30. Dezember sowie 1. und 3. Januar. Zu den Mitwirkenden gehören: Mimi - Jacquelyn Wagner / Justyna Samborska / Yana Kleyn; Musetta - Aoife Miskelly / Emily Hindrichs; Rodolfo - Jeongki Cho / Ivan Magrì; Marcello - Miljenko Turk / Nikolay Borchev; Schaunard - Luke Stoker / Wolfgang Stefan Schwaiger; Colline - Kihwan Sim / Lucas Singer; Benoit - Reinhard Dorn; Alcindoro - Alexander Fedin; Parpignol - Keith Bernard Stonum; Sergeant - Boris Djuric; Zollwache - Matthias Hoffmann; Chor der Oper Köln; Mädchen und Knaben des Kölner Domchores; Gürzenich-Orchester Köln. Inszenierung: Michael Hampe;Bühne & Kostüme: German Droghetti;/ Regie-Mitarbeit: Eike Ecker;musikalische Leitung: Francesco Angelico / Claude Schnitzler.
Beatrice Tomasetti