"Die Sprache des Gesangs ist universell"

Die Kölner Oper stellt neuen Spielplan vor – Die Kinder der Dommusik sind an zwei Wiederaufnahmen beteiligt
Den vielerorts spürbaren Verlust von Empathie, die über alle Grenzen, Sprachen, Religionen und Kulturen hinweg aber notwendig ist für ein friedliches Zusammenleben, beklagte Dr. Birgit Meyer, Intendantin der Oper Köln bei der diesjährigen Saison-Pressekonferenz im Deutzer Staatenhaus. Dabei sei gerade Empathie in einer extrem schnelllebigen und flüchtigen Zeit, in der sich viele Kontakte nicht mehr real, sondern digital ereigneten und die Grenzen zwischen beiden Welten in der Wahrnehmung zunehmend verschwimmen würden, ein wesentliches Schlüsselwort, betonte Meyer. In der Kunstform der Oper dagegen werde aber gerade auf diese Fähigkeit nach wie vor gesetzt. Denn sie biete aller gesellschaftlichen Entwicklung zum Trotz die Gelegenheit, „sich ein zusätzliches Stück Welt zu erobern“.
„Musik, Spiel und Gesang, Bühnenbilder und Kostüme erlauben das Eintauchen in Geschichten, die Identifizierung mit den Helden oder auch den Schwachen auf der Bühne.“ Dieser Vorgang der Imagination ermögliche bereichernde sinnliche Erfahrungen jenseits des Alltags; hier liege ihr Potenzial, sagte die Intendantin vor Journalisten und zahlreichen Mitarbeitern aus den eigenen Reihen, als sie gemeinsam mit Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth und Chefdramaturg Georg Kehren das neue Programm bis Sommer 2020 vorstellte. Zudem versäumte es die Chefin der Interimsspielstätte nicht, ihrem Team für die erfolgreichen Produktionen und alle geleistete Arbeit in der zu Ende gehenden Saison zu danken.
„Die Auseinandersetzung mit Kunst schafft Momente des Innehaltens und der Reflexion über unser Dasein: Wer sind wir? Woher kommen wir? Warum sind wir da? Wozu Leid, wozu Freude?“, resümierte Meyer mit Blick auf die aktuelle Bedeutung von Oper. Dass man im Theater diese Erfahrungen nicht allein, sondern mit anderen mache, verbinde und führe die Menschen zusammen. Die Empathie für die glücklich oder unglücklich Liebenden auf der Bühne nehme man mit ins richtige Leben, in den Alltag, führte sie aus. An ihre Zuhörer appellierte die Opernintendantin, „sich in unseren Gesellschaften mehr noch für Oper einzusetzen“. Denn nichts verbinde Menschen verschiedener Kulturen mehr als die Kunst, begründete sie ihr Anliegen. Schließlich, so betonte die 58-Jährige, sei die Sprache der Musik, des Gesangs universell und werde überall auf der Welt verstanden. „Das ist ein großes Glück und führt zu Völkerverständigung.“
Als überzeugendes Beispiel dafür nannte sie das eigene Haus. Allein in der Kölner Oper arbeiteten Menschen aus fast 30 verschiedenen Nationen. „Alle sind da, um zusammen Oper zu machen“, sagte Meyer. Und trotz aller Unkenrufe, dass die Kunstgattung Oper nur – wenn überhaupt – etwas für eine kleine Elite oder alte Leute sei, zeige sie sich selbst nach 400 Jahren noch immer genauso lebendig wie zur Zeit ihrer Entstehung, unterstrich sie. Dafür stehe allein schon die weltweit immer noch wachsende Zahl an Opernhäusern: mittlerweile auch in Kasachstan, Dubai und vielen Städten Chinas. Die Freude an der Musik führe Menschen in der Oper zusammen und sorge immer wieder neu für ihre Faszination.
Hier werde möglich, was sonst nicht gehe, so Meyer. „Mehrere Menschen reden, sprich: singen gleichzeitig und schaffen so eine komplexe, dichte, manchmal Gänsehaut erzeugende Emotion.“ Oper schaffe Bildung und Herzensbildung, zeigte sich die Opernexpertin überzeugt. Sie berühre im Innersten. „Daher ist unsere Aufgabe, die Hemmschwelle zu diesem Musikerlebnis möglichst niedrig zu halten und allen einen Zugang zu eröffnen.“ Mit dem aktuell gewählten Schwerpunkt „Oper und Gesellschaft“ unterstrich die Intendantin die Relevanz von Oper in der heutigen Zeit.
Die Förderung junger – vor allem auch weiblicher – Künstler sowie die Etablierung eines neuen Repertoires gehören dabei zu den zentralen Anliegen aller in Köln Opernschaffenden. In diesem Kontext ist die für den 24. November geplante deutsche Erstaufführung von Brett Deans Oper „Hamlet“ hervorzuheben, die 2018 mit dem International Opera Award in London als beste Uraufführung ausgezeichnet wurde. William Shakespeares Werk bildet auch die Grundlage für die deutsche Erstaufführung von Purcells „Miranda“ – Premiere ist im April 2020 unter der Regie von Katie Mitchell, der gerade der International Opera Award 2019 in London zugesprochen wurde. Darüber hinaus steht im Juni 2020 erneut die im letzten Jahr als überaus großer Erfolg gefeierte Produktion „Die Soldaten“ des Kölner Komponisten Bernd Alois Zimmermann auf dem Spielplan.
Mit der Neuproduktion von George Bizets „Carmen“ am 10. November kehrt die Regisseurin Lydia Steier nach ihrem großen „Turandot“-Erfolg nach Köln zurück. Die Geschichte zweier außergewöhnlicher Liebespaare steht im Zentrum der beiden Premieren unter Leitung von Generalmusikdirektor Roth: Richard Wagners „Tristan und Isolde“ – zur Eröffnung der Saison am 21. September – und Hector Berlioz’ „Béatrice et Bénédict“ am 7. Juni 2020. Roth wörtlich zu seiner Wahl: „Wir können hier im Staatenhaus Oper immer wieder neu erfinden, neu denken.“ Die Zeit in dieser Interimsstätte sei für ihn ausgesprochen inspirierend.
Um existenzielle Lebenssituationen dreht sich Verdis Oper „Il trovatore“, die in der gefeierten Inszenierung des führenden Theatermachers der internationalen Opernszene, Dmitri Tscherniakov, im Frühjahr nach Köln kommt. Unterhaltung auf höchstem Niveau bieten außerdem Rossinis große – in Köln halbszenisch umgesetzte – Oper „Il viaggio a Reims“ am 22. März sowie Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ im kommenden Mai. Zum ersten Mal präsentiert die Oper Köln in Kooperation mit dem Tanzbrunnen außerdem das „Opern-Air-Konzert“ zum Auftakt in die Saison am 15. September. Mit dem neuen Format „Das Ensemble präsentiert sich“ bietet sie wiederum ihren hochkarätigen Sängerinnen und Sängern eine Bühne zur individuellen Begegnung mit dem Publikum. In regelmäßigen Abständen werden sie mit einem persönlich zusammengestellten Programm ihre musikalische Visitenkarte abgeben. Nicht zu vergessen: Jacques Offenbachs Opéra bouffe „Barkouf“ am 12. Oktober rundet das Kölner Offenbach-Jahr ab.
Und schließlich sind es noch die für Dezember geplante Wiederaufnahme von „La Bohéme“ in der Inszenierung des früheren Kölner Intendanten Michael Hampe und die im März des kommenden Jahres anstehende von „Turandot“, die schon jetzt wieder als absolute Publikumsmagneten gelten können. Die beliebten Puccini-Opern haben seinerzeit nicht nur für höchste Auslastungszahlen gesorgt. Ihr besonderer Charme liegt auch darin, dass beide Male wieder je 50 Kinder der Kölner Dommusik beteiligt sind und hier vielleicht am augenfälligsten wird, dass Oper – gut gemacht – durchaus auch junge Fans begeistern kann.