Domchorsänger von einst gestalten am Sonntag das Kapitelsamt: "Dank für ein Stück Weggemeinschaft"
Im September geht Domkapellmeister Eberhard Metternich in den Ruhestand. Auf der Zielgeraden seines langjährigen Dienstes hat er sich noch einiges vorgenommen. Dazu gehört auch ein zweitägiges Treffen mit ehemaligen Domchorsängern.
DOMRADIO.DE: Bevor Sie am 31. August nach 38 Jahren ein letztes Mal den Kölner Domchor in einem Kapitelsamt dirigieren, stellen Sie an diesem Wochenende noch einmal einen "Projektchor" von Sängern zusammen, die ihre allerersten Chorerfahrungen meist als Acht- und Neunjährige bei Ihnen gesammelt haben. Was steckt hinter der Idee dieses Ehemaligen-Treffens?
Prof. Eberhard Metternich (Domkapellmeister und Leiter der Kölner Dommusik): Zu einem solchen Forum der Begegnung lade ich eigentlich alle fünf, sechs Jahre ein, zuletzt 2019. Es gibt nicht wenige ehemalige Chormitglieder, die immer noch eine starke inhaltliche Verbindung zur Dommusik haben, durch die Zeit in unseren Chören geprägt wurden und den Kontakt immer gehalten haben. Wie bei Klassentreffen ist das dann eine Art Plattform, um sich mit Chorkollegen auszutauschen, mit denen man viele Jahre zusammen gesungen hat, und gemeinsam an alte Zeiten zu erinnern.
Natürlich fragt man bei der Gelegenheit auch: Was ist aus Dir geworden? Machst Du noch Musik? Singst Du immer noch in einem Chor? Gleichzeitig mache ich mir auch selbst damit ein kleines Abschiedsgeschenk: Ich sehe noch einmal viele Menschen wieder, mit denen ich über viele Jahre ein Stück Weges zusammen gegangen bin. Und für diese Weggemeinschaft möchte ich mich nun bedanken, bevor es ans Abschiednehmen geht.

DOMRADIO.DE: Bestimmt war es nicht ganz einfach, überhaupt noch die Verbindungsdaten der ehemaligen Chorsänger zu ermitteln. Welche Rückmeldungen haben Sie auf Ihre Einladung bekommen?
Metternich: Die Resonanz war ausgesprochen positiv, auch wenn der Rücklauf zunächst eher schleppend anlief. Aber um Ostern herum haben sich noch einmal ganz viele gemeldet. Die meisten bedanken sich für diese Initiative und haben begeistert zugesagt. Andere mussten leider absagen, wünschen mir aber alles Gute für meinen Ruhestand. Wie es aussieht, stellen wir jetzt einen Chor von etwa 90 Sängern, darunter 70 Ehemalige. Das ist schon eine ganz beachtliche Zahl, die mich außerordentlich freut, weil sich daran das große Interesse an einer in der Vergangenheit entstandenen Beziehung ablesen lässt. Viele schreiben, dass sie sich gerne an die Zeit im Dom zurückerinnern, daraus für sich wertvolle Erfahrungen mitgenommen haben und sie die Entwicklung des Chores noch immer mit großem Interesse verfolgen.

Unter den Anmeldungen gibt es eine ganze Bandbreite an ehemaligen Chorsängern, von denen der älteste über 90 ist und in den Nachkriegsjahren von 1946 bis 1948 im Domchor inmitten eines völlig zerstörten Kölns gesungen hat. Viele kommen aus dem Großraum Köln, andere reisen von weiter her an. Woher im Einzelnen wird sich dann erst beim eigentlichen Beisammensein im Kardinal-Höffner-Haus am Samstag nach der ersten Probe zeigen, womit dieses Treffen, das auf zwei Tage verteilt ist, beginnt. Am Sonntag gestalten wir dann das Hochamt, in dem wir die Früchte dieser kurzen, aber dafür umso intensiveren Probenarbeit ernten wollen. Denn alle sind ja auch vorrangig daran interessiert, noch einmal musikalisch etwas zusammen zu machen. Und dass das Ergebnis dann im Dom zu hören sein wird, ist ja zweifelsohne ein toller Anreiz. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass mein Nachfolger diese gepflegte Tradition der Ehemaligen-Treffen aufgreift, weil daran einfach alle Freude haben.
DOMRADIO.DE: Die ersten Domsingknaben, die Sie unterrichtet haben, müssten heute knapp 50 Jahre alt sein. Wissen Sie, ob bei dem einen oder anderen aus dem musikalischen Fundament, das Sie damals gelegt haben, mehr geworden ist?
Metternich: Auch wenn ich von keiner ganz großen Sängerkarriere weiß, so haben doch nicht wenige Musik studiert, arbeiten heute als Musiklehrer oder haben eine Laufbahn eingeschlagen, bei der die Mitgliedschaft im Domchor zumindest irgendwie Impulsgeber war. So war beim letzten Mal der Frontsänger von der kölschen Band "Klüngelköpp", Frank Reudenbach, mit dabei, der früher im Domchor war, oder Markus Quodt, eine andere bekannte Größe aus dem Karneval. Und auch sonst erlebe ich immer wieder, dass die Anfänge im Domchor zu dem einen oder anderen musikalischen Erfolg geführt haben.
DOMRADIO.DE: Sie selbst sind als Limburger Domsingknabe groß geworden, haben als junger Sänger also eine ähnliche Entwicklung durchlaufen wie die heutigen Chorknaben der Kölner Dommusik. Welche Erinnerungen haben Sie an die Anfänge Ihrer Tätigkeit in Köln? Die Kölner Domsingschule befand sich ja erst in der Entstehung…
Metternich: In 38 Jahren hat sich viel verändert. Am Anfang gab es ja nur den Knabenchor, der den Anspruch hatte, jeden Sonntag im Hochamt zu singen und natürlich auch an den Feiertagen, zum Beispiel Heiligabend um Mitternacht die Christmette und am Weihnachtsmorgen dann wieder um 10 Uhr das Kapitelsamt. Alle diese Messen haben damals die Knaben alleine gestemmt, was eine enorme Leistung war. Dass das so auf Dauer nicht haltbar sein würde, habe ich allerdings schon damals vorausgesehen. Da wir für Mädchen, für Frauen und Männer weitere Chöre gegründet haben, zunächst den Mädchenchor am Kölner Dom, später dann die Domkantorei und das Vokalensemble für die Erwachsenen, musste der Knabenchor nicht mehr ein derart hohes Pensum an Gottesdiensten bewältigen. Das schuf wiederum Freiräume, so dass wir nun zusätzlich auch im Konzertbereich oder auf der Opernbühne aktiv sind, was inzwischen zum ganz normalen Programm gehört und den Erfahrungshorizont der jungen Sängerinnen und Sänger enorm erweitert.
Das ganze System war Ende der 1980er Jahre noch viel überschaubarer. Es gab lediglich ein kleines Institut in der Steinfelder Gasse, wo der Chornachwuchs ausgebildet wurde. Die Domsingschule gab es zwar schon, aber noch keine Vorbereitungen, um die unterschiedlichen Ausbildungen zusammenlaufen zu lassen. Das haben wir erst nach und nach – vor allem durch den Bau des Kardinal-Höffner-Hauses – entwickelt. Das wiederum eröffnete schließlich ganz neue Möglichkeiten für die Kinder.
DOMRADIO.DE: Spielte denn in früheren Zeiten noch eine ganz andere Bindung zur Kirche mit hinein, die eine gewisse Selbstverständlichkeit hatte?
Metternich: Zweifelsohne. Die Klientel des Domchores war sicher damals noch eine ganz andere als heute. Die kirchliche Bindung der Familien war viel stärker ausgeprägt, was sich auch im kirchlichen Leben zeigte: Man ging sonntags zur Messe, und ob der Junge in der Bank saß oder im Chor sang, machte da vielleicht nicht den großen Unterschied. Das ging so weit, dass mich aus den Gemeinden sogar Proteste erreichten, dass wir bei ihnen die kleinen Sänger abziehen würden, wenn sie sich im Domchor engagieren und jeden Sonntag im Dom auftreten.
Das hat sich im Laufe der Zeit gewandelt: zum einen, weil eine Reihe der Chorfamilien heute nicht mehr so sehr in ihrer Heimatpfarrei zu Hause ist. Diese finden aber am Dom zumindest für eine gewisse Zeit eine kirchliche oder zumindest religiöse Heimat. Und zum anderen haben wir genauso Kinder, die sehr im Gemeindeleben ihres Wohnortes aktiv sind – zum Beispiel als Messdiener. Und da sie ja nicht mehr so oft Domdienst haben, können sie eben auch in der Heimatpfarrei mitmachen und dort Wurzeln schlagen, so dass das mittlerweile eine sehr positive Entwicklung genommen hat.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, mit den Jahren ist die Dommusik immer komplexer geworden…
Metternich: Absolut. Als ich kam, gab es noch keine Musikschule, in der die Kinder am Instrument ausgebildet werden, oder auch – wie mit unserer Musischen Vorschule – Angebote für Kinder des letzten Kita-Jahres. Es gab keinen Mädchenchor, es gab keine Erwachsenenchöre und auch noch kaum Mitarbeiter: nur eine Sekretärin, eine Stimmbildnerin und zwei Musikpädagogen, alle in Teilzeit. Das war es dann auch schon, so dass ich zu dem Zeitpunkt eher noch Einzelkämpfer war.
Heute haben wir drei Chorleiter und allein 40 Instrumentallehrerinnen und -lehrer. Und auch die Betreuung am Nachmittag ist mit Sozialpädagoginnen und -pädagogen zunehmend professionalisiert worden. Nicht zu vergessen die Kölner Domsingschule als Grundschule mit einer eigenen Leitung und einem eigenen Lehrerkollegium, in der die meisten unserer Kinder ausgebildet werden. Übrigens haben hier auch die meisten Ehemaligen ihre musikalische Laufbahn begonnen.

DOMRADIO.DE: In der Kürze der Zeit – Ihnen steht nur ein Probentag zur Verfügung – muss die gewählte Literatur ja machbar sein. Was erwartet die Gottesdienstbesucher des Kapitelsamtes an diesem Sonntag musikalisch?
Metternich: Da die Knaben diesmal ausnahmsweise nicht mit dabei sind – sie hätten gegen die Übermacht der 90 Männerstimmen keine Chance – habe ich entsprechend eine Messe von Josef Rheinberger nur für Männerstimmen und Orgelbegleitung ausgewählt, die wir mit dem aktiven Domchor im letzten Jahr schon einmal gesungen haben, so dass die Probenarbeit auch ein bisschen schneller geht. Außerdem singen wir eine tolle Motette von Darius Milhaud, eine Vertonung des 121. Psalms, den ich noch nie in einer so großen Besetzung gehört habe. Da bin ich selbst gespannt, wie das dann im Dom klingt, was also gewissermaßen Premierencharakter hat.
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts lag die Kirchenmusik ja vielfach noch in den Händen von Männern – auch Kirchenchöre zu der Zeit waren reine Männerchöre – so dass es in der Romantik einiges an Literatur dieser Art gibt. So freue ich mich sehr auf eine wunderschöne musikalische wie gesellige Begegnung!
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.