Domkantorei Köln führt Stabat Mater von Rossini auf - "Eine Komposition mit viel Gestaltungsspielraum"
Es ist nicht das erste große Werk, das Joachim Geibel dirigiert. Und dennoch betrachtet der 35-jährige Dommusiker Rossinis Stabat Mater als besondere Herausforderung, zumal er damit seinen offiziellen Einstand im Kölner Dom gibt.
Zu opernhaft, zu weltlich, zu unterhaltsam, kurz: zu schön – zumindest für den tieftraurigen Text, der der Musik zugrunde liegt – erschien den deutschen Kritikern 1842 die Pariser Uraufführung des Stabat Mater von Gioachino Rossini, dem vor allem für seine zahlreichen Bühnenwerke bekannten Komponisten aus dem italienischen Pesaro.
Stürmisch und mit nicht enden wollender Begeisterung indes wurde dieses kirchenmusikalische Opus mit unüberhörbaren Belcanto-, Opern und a cappella-Elementen, das eine elfjährige Schaffenspause des Maestros beendete, von den Franzosen und Italienern gefeiert. Das Stück soll, glaubt man den Chronisten ihrer Zeit, im ausverkauften Pariser Théatre das Publikum förmlich mitgerissen haben, so dass es dessen Schöpfer mit frenetischem Applaus bedachte.
Der Triumph sei vollkommen gewesen, heißt es, so dass das "Inflammatus", das unbegleitete Solisten-Quartett und das "Pro peccatis" gar wiederholt werden mussten und die Besucher tief bewegt und voller Bewunderung den Konzertsaal verlassen hätten. Noch weitere 14 Mal im selben Jahr erklang das Stabat Mater in Paris. Sein Erfolg blieb ungebrochen – auch der der drei Aufführungen in Bologna, die auf Wunsch Rossinis sein jüngerer Musikerkollege Gaetano Donizetti leitete.
Auftraggeber ist der Spanier Manuel Fernández Varela
Die Entstehungsgeschichte dieses Werks verläuft nicht linear, sondern gliedert sich in zwei verschiedene Phasen. Nachdem Rossini 1831 Paris nach einem Rechtsstreit um seinen Vertrag, für die französische Metropole alle zwei Jahre eine Oper zu komponieren, verlassen, zuvor aber dort noch einen großartigen Erfolg mit seinem "Wilhelm Tell" gelandet hatte, macht er sich mit einem Freund auf nach Spanien, wo er, so ein Journalist, wie ein "Abgott" empfangen wird, als er den Barbier von Sevilla dirigiert.
Es folgen eine Audienz beim König und die Bekanntschaft mit dem Staatsrat und Priester Manuel Fernández Varela, ebenfalls ein glühender Verehrer Rossinis, der ihm den Auftrag zu einem kirchenmusikalischen Werk erteilt: die Geburtsstunde des Stabat Mater.
Doch während des Komponierens erkrankt der 32-Jährige so schwer, dass an Arbeit schließlich gar nicht mehr zu denken ist. Sechs der insgesamt zehn Sätze kann Rossini noch fertig schreiben, mit den noch ausstehenden – auch weil Varela ihn so sehr bedrängt – befasst er in seiner Not schließlich seinen Schüler Giovanni Tadolini, der die noch fehlenden Teile beisteuert.
Trotz fortschreitender Unpässlichkeit kann Rossini auf diese Weise dennoch die vollständige Notenhandschrift seinem Auftraggeber schicken, der seinerseits dieses Mischwerk als solches nicht identifiziert, demnach auch nie erfährt, dass es aus zwei unterschiedlichen Federn stammt.
Revision der Kompositionsarbeit nach zehn Jahren
Der schlechte Gesundheitszustand, zu dem auch manisch-depressive Phasen gehören, hält viele Jahre, die Rossini in Bologna verbringt, an. Bis ihn die Anfrage erreicht, ob das Varela-Original, an dem er sich die Aufführungsrechte gesichert hatte, gespielt werden dürfe. Das mag eine Initialzündung für die Wiederaufnahme seiner Arbeit und die Revision des ursprünglichen Manuskriptes gewesen sein – die Quellenlage ist da nicht eindeutig. Jedenfalls gibt sich Rossini 1841 ein zweites Mal an sein Stabat und gestaltet einen nun stilistisch deutlich einheitlicheren Zyklus, an deren Ruhm, was die wenige geistliche Literatur Rossinis angeht, nur noch die viel später entstandene Petite Messe solennelle heranreichen wird. Während sich dieses für die Liturgie gedachte Werk bis heute großer Beliebtheit erfreut, kommt das Stabat Mater eher seltener zur Aufführung.
Der einstigen Kritik zum Trotz – zumindest was deutsche Hörgewohnheiten im frühen 19. Jahrhundert angeht, ist das Stabat Mater für Joachim Geibel, den neuen Leiter der Domkantorei Köln und der Kölner Domkapelle, das ideale Werk für seinen Premieren-Aufschlag im Kölner Dom.
"Auch weil ich es noch nie gemacht habe. Damit sitzen wir alle im selben Boot." Denn auch der Chor, den er vor einem halben Jahr von Winfried Krane, dem Gründer und langjährigen Leiter der Kantorei, übernommen hat, erweitere damit sein ansonsten doch recht üppiges Repertoire. "Gemeinsam", betont Geibel, "stellen wir uns mit diesem Konzert einer völlig neuen Herausforderung, weil wir alle bei diesem Stück dieselben Voraussetzungen mitbringen und miteinander bei Null starten." Sehr viel schwieriger sei ein Leiterwechsel, wenn ein Chor bei einem Werk bereits eine Prägung mitbringe und so auf eine Interpretation festgelegt sei.
Konzert in der Vierung des Domes
An diesem Freitag führen das Stabat Mater unter Geibels Leitung 60 Sängerinnen und Sängern sowie 30 Instrumentalisten in der Vierung des Kölner Doms auf – nach weniger als drei Monaten Probenarbeit. Dabei hat sich der 35-Jährige in den zurückliegenden Wochen vor allem auf viel Stimmbildung und die Entwicklung einer neuen Klangfarbe seines Ensembles konzentriert. Dieser Feinschliff habe viel gebracht, lobt Geibel den Chor. "Der Klang ist nun brillanter, flexibler und tragfähiger", zeigt sich der Dommusiker sichtlich zufrieden. Alle hätten sich bereitwillig auf neue Impulse und seine ästhetischen Vorstellungen eingelassen, so dass er den Gestaltungsspielraum dieses Werks voll ausschöpfen könne.
Denn diese Musik, so Geibel, lebe von großen Kontrasten: von einem Text, der das ganze Leid einer Mutter zum Ausdruck bringe, und dann wieder auch von einer opernhaften Musik mit teils eingängigen, beschwingt klingenden Melodien. Das mache sie plastisch, kurzweilig und abwechslungsreich. "Da zahlt sich Detailarbeit an der Interpretation hörbar aus." Die Partien – nicht zuletzt vor allem für die Solisten – seien zudem höchst anspruchsvoll: mit vielen Tempi- und Dynamikwechseln.
"Ein Werk, das in all seinen unterschiedlichen Facetten erst seine volle Wirkung entfaltet, wenn man an den Parametern im Vorfeld entsprechend gut gearbeitet hat." Das sei die Voraussetzung. "Schließlich ist der Dom nicht nur akustisch für mich ein Novum. Auch emotional ist es für mich etwas ganz Besonderes, zum ersten Mal mitten in diesem Raum zu stehen und diese Musik, die mich persönlich sehr bewegt, zum Klingen zu bringen."
Passionskonzert im Kölner Dom
Mitwirkende in diesem Passionskonzert am 8. März um 20 Uhr, bei dem zunächst der "Passionsgesang" von Josef Rheinberger op. 46 für Chor und Orgel aus dem Jahr 1867 auf dem Programm steht, sind Katharina Leyhe, Sopran, Katarina Morfa, Alt, Raphael Wittmer, Tenor, und Christoph Seidl, Bass, sowie die Domkantorei Köln und die Kölner Domkapelle. An der Orgel: George Warren. Die Leitung hat Joachim Geibel.
Einlass ab 19:30 Uhr, Eintritt frei. Das Konzert wird live in Bild und Ton auf DOMRADIO.DE übertragen. Die Reihe "Geistliche Musik am Dreikönigenschrein", in der dieses Konzert stattfindet, wird finanziell unterstützt von der Kulturstiftung Kölner Dom.